Trauer oder was?

Eine kritische Beobachtung

IT-Startups haben die Trauer als lukratives Terrain entdeckt, IT-Künstler erfanden eine neue Form der bisher eher spirituell gedachten Ewigkeit.
Sie „trösten“ Trauernde mit digital erweckten, fortan unsterblichen Avataren, zuweilen eher gruseligen Kopien verstorbener Personen.

Trauer ist eine spontane, natürliche und selbstverständliche Reaktion die einen Trauerprozess auslöst.
Seit vielen Jahren begleiten Laien, Psychologen und Seelsorger Menschen, die in ihrem schweren Abschiedsschmerz individuelle, kompetente Begleitung wünschen oder, im Falle eines klinischen Erscheinungsbildes, z.B. bei „psychiopathologischen Trauerreaktionen“ einer Therapie bedürfen.

 

Die Trauererschließung- und Begleitung bedient sich unterschiedlicher Wege. Alle bisherigen Formen der Unterstützung verfolgten ein Ziel: Einen gesund vollzogenen Abschied zu erreichen. Dazu gehört die Akzeptanz der Realität des Todes. Dazu gehört das „Loslassen und Gehenlassen“, des Verstorbenen. Damit ist freilich nicht das Ende des Andenkens gemeint.

Nach dem guten Verlauf des Trauerprozesses, werden Schmerz und Not verblassen und sich allmählich zu liebevollem, stärkendem Erinnern wandeln. Der Blick in die eigene Zukunft unter den Lebenden ist wieder frei.

Zur Erinnerung an Verstorbene und Episoden des gemeinsamen Lebens boten sich schon seither Videos oder Fotoalben an. Der Zeitgeist der Gegenwart möchte uns mehr bieten.
Seit einigen Jahren schon basteln It-Leute in Amerika und Asien an Avataren und interaktiven Unterhaltungswelten. Wenn ein Lebender sich selbst kopieren lassen mag, sich seinen eigenen Doppelgänger wünscht, wenn der Nutzer sich in Eigenverantwortung auf der digitalen Spielwiese herumtreiben mag -vielleicht für ewig, entzieht sich das zuweilen der Vernunft, scheint mir auf den ersten Blick moralisch wenig verwerflich.

Was hat die virtuelle Welt mit Trauer zu tun?

„ KI macht es möglich mit Verstorbenen zu chatten“.

Die skurrile, digitale Kunst schafft das Verlorene zurück – zumindest dann, wenn wir uns das vorgaukeln lassen. Virtuelle Räume bieten an, „Verstorbenen“ (in Form eines Avatars) zu begegnen und in Interaktion zu treten. Manche der digitalen Doppelgänger sprechen mit den identischen Stimmen der Verstorbenen und reagieren individuell auf Fragen ihrer (lebenden) Partner. Es entsteht der Eindruck eines (eher faden) Livegesprächs am Bildschirm, vergleichbar wie wir es mit Skype kennen.
Gestaltet, oder spitz formuliert „geboren“ werden die virtuellen Gestalten aus dem digitalen Nachlass (Videos, Sprachmemos) des Verstorbenen. Sprache, Gestalt, Outfit, Vorlieben werden in aufwendiger IT-Arbeit zu einer fortan unsterblichen „Schöpfung“ oder „Auferstehung“.

Meine erste Konfrontation mit dem Film eines per IT-Order, nach seinem frühen Tod wieder geschaffenen Kindes ließ mich erschaudern.

Die Thematik: Eine junge Mutter wünschte sich, ihr zuvor schwer krankes, abgemagertes, inzwischen verstorbenes Kind noch einmal, aber gesund und munter zu erleben.
Im Film (gestaltet in Korea) trifft die Mutter, ausgerüstet mit IT-Spezialbrille- und -Handschuhen ihr Mädchen. Sie treffen einander in einer früher schon frequentierten Parkanlage. Sie sprechen und lachen. Die Mutter berührt und liebkost das Kunstgebilde, als wäre es ihr lebendes Kind und sie scheint sehr beglückt!
Man darf sich fragen: Ist das gestört oder nur gruselig?

Ausschnitte aus dem genannten Film zeigt:

(www.t-online.de/digital/internet/id_87342326/herzzerreissendes-video-
trauernde-mutter-trifft-verstorbene-tochter-in-vr-welt-wieder.html)

Kann solcher IT und KI -Hokuspokus tatsächlich einem trauernden Gemüt helfen?
Was bewirken derlei seelenlose, weiterlebende Kunstfiguren mit dem Gemüt der Zurückgebliebenen auf Dauer? Der geliebte Mensch ist weg, verbrannt oder begraben und doch bleiben Trauernde emotional gebunden an etwas, das niemals annähernd das sein kann was schmerzvoll entbehrt wird.

Tod und Trauer gehören zum Leben. Was wir unter Trauer verstehen sollten, ist ein notwendiger Regenerations-Prozess des verletzten Gemüts nach ungewollter Trennung.
Ein Avatar aber verleugnet den Verlust. Das Festhalten an der Kopie des Verstorbenen verschiebt oder unterdrückt den Trauerprozess, der dann nie endet oder zur Unzeit vehement wiedererwacht.

Wann hat die Trauer ein Ende? Darf der Avatar auch irgendwann sterben? Verschwindet er gar ungewollt mit dem Existenz-Ende seines online-Betreibers und löst neue Trauer aus?
Oder schwirren beide, im Leben einst Verbundene, zuletzt als Avatare auf ewig gemeinsam durch das Metaversum? Eigentlich hieß es (aus gutem Grund): „Bis dass der Tod uns scheidet“…

Ich schätze, die Begegnung mit dem Avatar bleibt ein virtuelles Spiel, das im besten Fall die Freude am Experiment befriedigen kann.

Es bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit unter uns Lebenden weiterhin tiefer schaut, weiterdenkt und fühlt. Ein Avatar ersetzt das Bild des biologisch-sterblichen Teil des Menschen. Seine Stimme spricht nicht aus der Seele, Gefühle sind höchstenfalls inszeniert und seine Worte sind von der künstlichen Intelligenz aus der Vergangenheit herauskopiert. Selbst wenn er/sie/es (KI) neue Regungen und Worte „lernt“ bleibt das Gebilde ein für sensible Gemüter riskantes Unternehmen. Sollte ein Hacker gar mit der Figur Schindluder treiben, gerät erwarteter Trost leicht zum Trauma.

 

Der Tod hat einen Sinn. Die meisten Kulturen, Philosophen und Religionen beschreiben die Grenzen unseres irdischen Daseins zwischen Geburt und Tod. Sie bezeichnen den Tod als die Geburt in eine neue, rein geistige Dimension.

Seit Urzeiten ist im Menschen das Verlangen nach einer spirituellen Verbindung zu ihren Verstorbenen angelegt. Ich habe in hunderten Gesprächen erfahren, dass gerade in der Zeit der akuten Trauer viele Menschen Kontakt zu einer spirituellen, höheren Erfahrung suchen und finden. Diese Erkenntnisse stärkten mir die Gewissheit, dass auch nach dem Tod eines geliebten Menschen noch lange Zeit eine geistige Verbindung bestehen kann. Es ist schwer zu beschreiben, nicht zu belegen aber es ist durchaus erfahrbar, dass weiterhin Gedanken und Signale die Ebenen zu wechseln vermögen. Nicht so laut halt, nicht so bunt!

In allen Kulturen ist die Störung der Totenruhe ein wichtiges Thema. Da geht es nicht nur um das Grab oder den Leichnam, sondern auch um die Ehre und den Respekt vor dem Andenken der Toten. Aus diesem Grunde erhebt sich die Frage nach Recht, Moral und Ethik, wenn ohne vorherige Einwilligung oder testamentarische Verfügung eine Persönlichkeit quasi neu erfunden und fremdbestimmt weiterexistieren soll.
Es ist zu hoffen, dass das Spiel nicht gar zum Störfaktor gerät der die vom Körper erlöste Seele in der geistigen Welt am „Fortwirken“ * aufzuhalten droht.
(Goethe:
[…] denn ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur: es ist ein *fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit […].

IT-Entwickler glauben machen zu müssen, was machbar ist. Das ist in der Forschung eben so und nicht neu. Den Auftraggebern eines „Trauer-Trost-Avatars“ wäre zu wünschen, sich nicht zuletzt im Hinblick auf das eigene, wirkliche, unvermeidbare Sterben hin, mit der Realität des Todes und dessen, was danach kommen mag auseinander zu setzten.

 

Notizen:

Zitat: (Deutschlandfunk 15.12.2020): Früher haben Kirchen und Wunderheiler ewiges Leben versprochen, heute wollen IT-Startups uns als digitale Kopien unsterblich machen. Ein Gespräch über ein Menschheitsexperiment mit ungewissem Ausgang.

Für 50 US-Dollar pro Jahr will Somnium Space seinen Nutzerinnen ermöglichen, einen lebensechten Avatar für den Fall ihres Todes in einer VR-Welt zu speichern.

 

Im Internet finden sich vielerlei Informationen und Angebote, ein kleiner Ausschnitt:

„Diese KI macht es möglich mit Verstorbenen zu chatten!“

„Auferstehung 2.0 Verstorbene kommen als Avatare zurück“

„Auferstehung von den Toten – Trauerarbeit mit KI-Avataren

„ KI und Tod: Kann man bald mit Verstorbenen telefonieren?“

und so weiter!

Gedanken zu unserer Bestattungskultur

Die Beisetzung und die üblicherweise dazu stattfindenden Feierlichkeiten sind eine wichtige, friedvolle Station für Angehörige und Freunde am Ende eines gemeinsamen Lebensweges. Sie schaffen einen Übergang von dem schmerzhaften Ereignis des Todes zu der "Zeit danach". Bestattungen waren zu allen Zeiten und sind in allen Kulturen wichtige Rituale zur Ehre des Toten und zum Trost der Angehörigen.

Nur zwei, drei Generationen vor unserer Zeit, also nicht all zu lange her, fuhren auch bei uns noch schön geschmückte, von Pferden gezogene Wagen mit dem Sarg vom Trauerhaus zum Friedhof. Passanten hielten für Augenblicke inne, die Herren hoben den Hut oder nahmen die Mütze ab. Nachbarn und Bekannte schlossen sich spontan dem Zug an. Heute fahren unsere Bestatter mit unauffälligen, supermodernen Kombilimousinen so gut wie unbemerkt, gewollt unauffällig, am Trauerhaus oder Friedhof vor.

In den antiken Begräbnisstätten finden wir schöne Grabbeigaben für den Toten, mitgegeben für die Reise und seine Zeit im Jenseits, in der Totenwelt. Glaubensinhalte, Traditionen, religiöse oder kulturelle Vorgaben halfen den Angehörigen durch die schmerzvollen Tage. Gehen wir heute in Deutschland über ältere Friedhöfe, dann stehen da noch aufwendig und kunstvoll geschaffene Grab-Denkmale für die Verstorbenen.
Im Gegensatz zu einer feierlichen, einem Ritus folgenden Bestattung entbehrt die mehr und mehr gebräuchliche anonyme Urnen-Beisetzung aller "Umstände". Sie findet auf einer Wiese innerhalb des Friedhofes statt, in vielen Fällen ohne verbleibende Namensnennung. Bestatter berichten, dass die Beisetzung dort manchmal sogar ohne Begleitung Angehöriger vollzogen wird. Freilich ist eine rundum festliche Bestattungsfeier heute, finanziell gesehen, keine "günstige" Angelegenheit, die Angehörigen müssen schon tief in die Tasche greifen. Sicher ist aber, dass dort wo trauernde Menschen zurück bleiben, Abschiedsfeierlichkeiten mit Kerzen, Blumen und handgemachter Musik geeignet sind, trostvoll Abschied zu nehmen und gestärkt in die Trauerzeit zu gehen. Mit herzlichen Worten für den Verstorbenen findet die letzte Ehrung und Würdigung seiner Person und seines Lebens statt.

Anders als bei uns üblich, werden auch heute noch auf vielen Friedhöfen, z.B. in Italien, Frankreich oder in Südtirol regelrechte Monumente, Mausoleen oder Gruften errichtet, in denen die Toten ganzer Familien über viele Generationen im Sarg oder in der Urne beigesetzt sind. Auch wenn wir heute keine Tempel mehr bauen können oder wollen, ein Stein, ein Kreuz, ein paar Buchstaben umrandet von gepflegtem Grün, auch das kann uns ein Ort des Trostes und der Stärkung sein. Immer mehr Friedhöfe erschaffen liebevoll gestaltete, neue Grab- und Urnenareale mit einladenden Möglichkeiten für Besucher um dort zu verweilen. Die Tatsache, dass Familien immer kleiner werden und sich die Kinder, Nichten oder Neffen schon lange nicht mehr rund um den Heimatort ansiedeln, wirft die Frage nach der Grabpflege auf. Dies ist das häufigste gehörte Argument für Gemeinschafts-Grabfelder, Wiesen oder Friedwald Bestattungen und es ist durchaus nachvollziehbar. Ich bin immer wieder Menschen begegnet die bedauerten, weit weg von den Gräbern der Ahnen zu sein, aber  auch andere, die sich in irgend einer oft phantasievollen Weise einen Ersatz-Gedenkort geschaffen haben, um zumindest in der ersten Zeit, wenn die Trauer noch täglich das Gemüt bewegt, einen Platz der Einkehr und einer Art der Begegnung zu haben.
Auf der einen Seite mag man nicht zu den ewig Gestrigen gehören, die alte Pfade nicht verlassen wollen, auf der anderen Seite muss die Frage erlaubt sein, ob das Neue nur preiswerter und pflegeleichter ist, oder ob es auch tragfähig ist für den Schmerz des trauernden Gemüts der nahestehenden Angehörigen. Es macht Mut, dass immer mehr Raum geschaffen wird, auch den Trauernden gleichwohl wie den Verstorbenen gerecht zu werden.
Eines von vielen Beispielen ist die Einrichtung auf dem Pragfriedhof in Stuttgart, wo ein schön gestalteter Platz den Eltern Raum für die Trauer schafft, und den Totgeborenen Kindern ein würdevolles Plätzchen auf Erden bietet. Anderswo wurden sogenannte Trauerhaltestellen errichtet, welche nicht zuletzt auch sich zufällig dort begegneten Trauernden einen Ort für ein mitfühlendes, verständnisvolles Gespräch oder gar eine neue freundschaftliche Begleitung bieten. Stille Bestattungswälder können ein Ort des Friedens sein für all diejenigen, die eben wirklich niemanden mehr nach sich haben, der noch jahrelang ein Grab pflegen könnte. Jedenfalls sollten wir nicht aufhören nach Wegen zu suchen, die den Toten und den Lebenden respektvoll gerecht werden. Wege die unsere alte Kultur nicht verleugnen, sondern stilvoll wandeln und erneuern. JB

Im Abschied verzeihen hilft den Weg der Trauer zu lichten

Zum Glück sind wir uns nicht alle Tage unseres Lebens darüber voll bewußt, dass ein jeder unser letzter Tag sein könnte. Schleppen wir nicht so manch unerledigtes von Tag von Tag mit uns, mit dem wir uns, wenn es vermeintlich zu spät ist, doch noch um eine Lösung bemühen wollen?
Ein Philosoph sagte einmal: "Ich glaube, wenn wir gestorben sind, dann sind wir schon nicht mehr tot". Er verheißt damit, seinen Glauben an eine, wie auch immer geartete Fortdauer unseres Wesens nach dem irdischen Tod. Da wäre dann also etwas Ansprechbares geblieben?
Trennung und Abschied begleiten uns ein Leben lang. Doch dieser, der sogenannte letzte Abschied weckt zuweilen auch manchen Zweifel in uns, den Zurückbleibenden. Haben wir alles recht gemacht im gemeinsamen Leben, was haben wir versäumt, wie wäre es besser gewesen? Vielleicht blieben wichtige Worte ungesagt?  Im Falle ungelöster, zwischenmenschlicher Konflikte stellt sich die Frage, wohin mit dem was zwischen uns stand, zwischen mir und dem verstorbenen, nun unerreichbar gewordenen Mitmenschen.
Der letzte Abschied aber ist ein ganz anderer als jedes Ade das wir jemals zuvor ausgesprochen und erfahren haben. Dem letzten Abschied wohnt so etwas starkes inne, dass manch weltliche Regel hier ausser Kraft gesetzt scheint.
Die Stimmung der Stunde, die Besonderheit des Ortes macht es möglich jeden Zweifel, jede Angst, Ungesagtes oder unbedacht Ausgesprochenes ins Licht des Verstehens, Verzeihens und Vergebens zu stellen. Wir helfen uns selbst im Abschied mit den vertrauten Ritualen. Wir drücken durch dieses Tun symbolisch unsere Achtung gegenüber dem Verstorbenen aus. Es ist sicher auch nicht zu spät, all dies in das Abschiednehmen hinein zu legen, was wir im gemeinsamen Leben noch hätten ausdrücken wollen.
Warum also sollten wir in der Energie dieser Stunde nicht auch die Kraft aufbringen grobe Steine aus dem Weg zu räumen und auf allen Ebenen Frieden zu stiften.         

Ich begleite dich

Ich möchte dich treffen, auf deinem schweren Weg an deiner Seite gehen. Dabei will ich mir bewußt sein, dass deine Füße dich tragen und meine Füße mich. Ich möchte dich auch auf ungewohnten Wegen begleiten. Wenn wir es schaffen, in dieselbe Richtung zu gehen, ist es gut. Wenn du rasten willst, sage es mir, dann raste ich mit dir. Wenn du in den Abgrund blickst, will ich es verstehen und ertragen, dass du es tust. Ich möchte dich behutsam weiter führen, nicht wegreißen.
Ich kann den Schlag deines Herzens hören, nicht dein Herzensleid dir abnehmen. Aber ich kann dir mein Herz zur Seite stellen. Dein Kummer ist nicht übertragbar auf mich jedoch kann ich dich halten, wenn er dich schüttelt.
Ich kann nur ahnen, wie du dich fühlst, möchte aber gerne dass du weißt dass ich da bin, wenn du es willst. 

Ein ungewöhnlicher Abschied (Praxisbericht)

"Wann haben Sie eine ganze Stunde Zeit für mich?" Diese Frage war unserer Terminvereinbarung voraus gegangen. Heute also betrat diese, besonders geschmackvoll gut gekleidete Dame mein Sprechzimmer. Auf den ersten Blick schätzte ich sie auf etwas über 60 Jahre alt , bis ich erfuhr dass sie im 71. Lebensjahr stand. Ihr Blick war offen und freundlich, sie wirkte erwartungsvoll . Als sie vor wenigen Tagen um einen möglichst baldigen Termin anrief, erfuhr ich lediglich dass sie über ihre Trauergefühle mit mir reden wollte. Glücklicherweise fragte ich nicht, wer denn verstorben sei. Sie schaut sich um, nimmt Platz und lobt die Orchideen am Fensterbrett neben uns. Wir sitzen uns gegenüber, ich biete ihr ein Glas Wasser an. Frau Elvira wartet nicht lange und beginnt mit fester Stimme und ohne Umschweife: "Ich weiß jetzt ja noch nicht wie sie denken, aber ich will vorausschicken, dass ich hoffe, dass sie nicht versuchen werden, mich von meinem Weg abzubringen. Mein Plan ist lange durchdacht und ich möchte ihn respektiert haben." Sie hält kurz inne und blickt prüfend auf mich, dann fährt sie fort: "Ich habe mich entschieden Abschied zu nehmen." - So unmissverständlich in meine Schranken gewiesen und in Anbetracht der Vehemenz mit der ich angesprochen werde, bin ich innerlich in diesem Moment in aller höchster Spannung. Bleibe aber still, signalisiere stumm mein Interesse und höre weiter zu. "Wissen Sie, ich bin schwer krank, ich hätte nach Auskunft und Meinung meiner Ärzte vielleicht schon noch ein paar Monate, vielleicht ein Jahr zu leben. Aber wie? Vor 5 Jahren starb meine einzige Tochter, viel zu früh und nach schwerem Leiden. Schon vor 15 Jahren starb mein Mann, ich habe ihn sehr lange gepflegt, er war ein geduldiger, lieber Patient, aber zuletzt war nichts mehr von dem Mann da, der 35 Jahre an meiner Seite gelebt hatte: er war viele Monate abwesend, leidend, stumm und kannte selbst mich nicht mehr." Mit einem Griff in Ihre Handtasche legt sie mir den Flyer einer bekannten Sterbehilfe-Organisation in der Schweiz auf den Tisch. "Kennen Sie das?" Ja, und ich habe mich auch schon viel damit beschäftigt, kann ich ihr bestätigen. Ich bin ihr ganz zugewandt und still und warte ab. "Ich bin dort seit vielen Jahren Mitglied. Gestern war ich bei meinem Hausarzt und habe mich für alles bedankt und verabschiedet." Etwas in mir beginnt die Frau zu bewundern, wo nimmt sie die Kraft her, wo die Ruhe mit der sie spricht ? Im selben Moment kullern ein paar Tränen über ihre Wangen. " Ich spüre seit ein paar Tagen so viel Trauer in mir und weiß nicht wie damit umgehen, nur dieserhalb bin ich da - verstehen sie mich?" Ich nicke. Ja, Abschied macht traurig. Ob ich gehe oder verlassen werde, es ist immer ein Verlust-Schmerz bei jeder Trennung. Zufrieden war ich selbst mit meiner Antwort nicht, es war aber wohl ein guter Einstieg um in den Dialog zu kommen. "Ja genau, es sind meine Gedanken an all das was ich schon verloren habe und all das was ich nun endgültig und für immer los lassen werde." Wollen sie die Dinge benennen, die sie jetzt zurücklassen werden? "Ich werde nie wieder den blauen Himmel sehen, im Wind stehen oder am Strand die Füße einbuddeln. Ich werde nicht mehr singen und nicht mehr pfeifen." Pause. "Ach was, von meinem Leben nehme ich ja vielleicht irgendetwas mit....oder? Aber all die Dinge die ich liebte.. nein eigentlich weiß ich nicht, was von alledem mich traurig stimmen sollte, ich habe es gehabt, war glücklich, meist zufrieden und nun gebe ich es her. Jeder muss ja einmal alles hergeben." Wir sprechen über die Zeit nach dem Tod der Tochter, über die glücklichen Jahre zuvor und über den Tod des Ehemannes . Ich glaubte zu erkennen, dass sie bei vorausgegangenen Abschieden einen heilsamen Weg gefunden hatte und eine gute Trauer durchlebt hat. Sind sie im Moment traurig, frage ich. "Nein, komisch, eher froh dass sie mich verstehen." Wer kennt ihren Plan, wer weiß von ihrer Erkrankung? "Ein paar Freunde wissen, dass ich krank bin, aber nicht wie schwer krank ich bin, über meinen Abschied habe ich nur mit meinem Arzt gesprochen, ich wusste, er kennt mich und versteht mich, er hat auch mir immer reinen Wein eingeschenkt. Haben Sie sich mit dem Sterben und dem Tod beschäftigt? "Ja ich habe viele Bücher gelesen und eigentlich, wissen sie, ich habe keine Angst vor dem Sterben, das ist in dem Fall ja auch schnell vorbei. Den Tod allerdings, ein Danach und Dahinter, da gibt es so vielerlei Aussagen, welche stimmt wohl? Ich bin unsicher, aber auch neugierig." Am nächsten und den zehn aufeinanderfolgenden Tagen trafen wir uns täglich, die letzten zwei Begegnungen führten uns auf einem vereinbarten Spaziergang durch den Wald. Wir philosophierten über ihren Lebensweg, sie spekulierte über das was ihr gelungen, das was sie versäumt hatte und wir versuchten uns gegenseitig unsere jeweiligen Vorstellungen eines Jenseits zu beschreiben. Zwei Tage später, am 14. März kam ein letzter Anruf aus der Schweiz. "Ich bin ganz ruhig, es ist alles klar hier, danke und ihnen alles Gute." Ihnen auch, mehr durfte, mehr konnte ich nicht mehr sagen, die mutige tapfere, schwer kranke Frau hatte aufgelegt. Sie war zuletzt ganz ausgeglichen gewesen und keine Wehmut mehr gezeigt. Sie hatte ein Gegenüber, eine Begleitung gefunden, die keinen Widerspruch gab sondern die vielen Gedanken die noch gedacht und gesprochen werden wollten, mit ihr teilte.

Bilder

Auferstehung Mailand
Grab Kind und Engel
Gräber Johannis Friedh. Nürnberg
Gruft in Südtirol
Himmelstüre Mailand
KA Roma- drei Grabtempel
Kindergrab Wien
Mausoleum zu verkaufen
Urnenruhe am liegenden Baum
einsames Engelchen
mit Auto
mit Federn und Blumen
Görlitz
am Ionischen Meer, Süditalien
einmal ganz anders, in Göppingen
Wolfgottesacker bei Basel
Kalabrien, Italien
in Marktbreit a.d. Mosel
Eichstetten am Kaiserstuhl
Grabstein vom Efeu gehalten, München
Engel am „Tulpenfriedhof" in Gönningen
Grab in Rabat Marokko
Grab in Rabat Marokko
Grab in Süditalien
Herz im Kiesbett
Kreuz aus Eisenrohr, Grevenmacher, Mosel
Ende der Ruhezeit
Sonnenblume
Grabrosen aus Porzellan
Totengässlein Basel
Kreuz aus Stahlrohr, Grevenmacher, Mosel
Eisenbart Ruhestätte

 

 

Bilder:
Isabel Blessing-Peest *
Text:
Dr.Christoph Schubert-Weller *

 

Mein buntes Kleid

 

Aus so viel Abschied
Aus Regenbogentuch
Gewebt, geweint
Mein buntes Kleid
Tränen, nadelfein die Perlen
Aufgestickt: Witwenschleier,
Totenhemd

 

 

Mein buntes Kleid
Aus so viel Abschied
Hoffnungen eingenäht
In den Saum, Zukunft im Ärmel
Narrenhemd, das mich wärmt
In dieser Nacht. Und aus den Fäden
Duft von Träumen heiter
Feiner Nebel Zärtlichkeit

 

 

 

*Mit freundlicher Genehmigung
der Künstlerin und des Autors